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Gemeinwohl contra Gewinnabschöpfung

Christian Schultz
Christian Schultz, 54, ist Kaufmännischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem in Minden und ausgewiesener Kenner der bundesdeutschen Sozial- und Pflegebranche. In Fachvorträgen stellt er regelmäßig unter anderem in Berlin, München und Hamburg alternative Modelle einer sinnstiftenden Versorgung pflegebedürftiger Menschen vor. Christian Schultz macht sich für eine quartiersnahe Versorgung stark. Quartiersentwicklung hat er wissenschaftlich in seiner Masterarbeit mit dem Titel: „Ambulantisierung der stationären Pflege in der Altenhilfe: »Individuell leben in Wohngruppen« Machbarkeitsstudie zur Entwicklung autonomer Lebensbereiche im »Hausgemeinschaftshaus im Quartier«“ erforscht.

Sozialexperte Christian Schultz kritisiert Fehlentwicklungen der Sozialbranche

Vor Führungskräften diakonischer Unternehmen prangerte Christian Schultz folgenschwere Fehlentwicklungen auf dem Sozialmarkt an. Während gemeinnützige Unternehmen Fachkräfte ausbilden und ihre Erträge in der Region zum Wohle der Menschen vor Ort einsetzen, schöpfen überregionale private Anbieter ihre Gewinne gnadenlos ab.

„Wir erkennen immer deutlicher die Gefahren einer reinen Gewinnorientierung auf Kosten der Pflegbedürftigen und der Mitarbeitenden in pflegenden Berufen“, so Schultz. So würden private Anbieter allein im Kreis Minden-Lübbecke den Bau von ca. 10 bis 12 neuen Altenpflegeheimen planen, für die in dieser Anzahl kein Bedarf bestehe. Ein Blick in die örtliche Pflegeplanung aus dem Jahr 2017 des Kreises Minden-Lübbecke macht dies deutlich. Auf politischer Seite würden die Investoren hofiert und in Ratssitzungen eingeladen, die den Charakter von Werbeveranstaltungen annähmen. Dass die Gewinne, die diese Häuser abwerfen sollen, nicht in der Region verbleiben werden, sei selbst den Entscheidungsträgern oft nicht bewusst.

In der Pflegebranche fehle es nicht an Gebäuden, sondern an Fachkräften, die für die anspruchsvolle Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen ausgebildet sind. Das vieldiskutierte Thema des Personal- bzw. Fachkräftemangels wird von privaten Anbietern nur rudimentär oder nicht aufgegriffen. Zwischen 1999 und 2017 sind 348.000 zusätzliche Vollzeitkräfte in der Branche hinzugekommen, sodass 2017 in der ambulanten und stationären Pflege insgesamt 819.000 Vollzeitkräfte beschäftigt waren (davon 329.000 Pflegefachkräfte). Dennoch sind Pflegefachkräfte Mangelware: Das zeigt sich unter anderem in der Zahl der gemeldeten offenen Stellen in Pflegeheimen. Diese war im Juli 2019 mehr als doppelt so hoch wie im Juli 2009. Die Ausbildung und Werbung für soziale Berufe überließen die großen Pflegekonzerne allerdings gerne den gemeinnützigen Organisationen. Dort fertig ausgebildete Kräfte abzuwerben, sei für sie viel einfacher und kostengünstiger. Denn die privaten Anbieter engagierten sich nur dort, wo Gewinn gemacht werden können.

So hat die Specht-Gruppe, die in Hartum, Hahlen und Barkhausen bauen will, vor rund 5 Jahren 34 Ihrer Einrichtungen an die Orpea-Gruppe verkauft. (Orpea ist als Tochter der französischen Orpea-Gruppe einer der größten Anbieter auf dem Gebiet der Seniorenpflege in Deutschland mit 138 Pflegeheimen in der BRD). Hintergrund des Verkaufs waren laut Aussage von Specht Altersgründe. Im Jahr 2017 investiert Specht wiederum 200 Mio. Euro in 17 neue Pflegeeinrichtungen.

Die Korian-Gruppe (Französischer Anbieter von Pflegeheimen in Deutschland, insgesamt derzeit 236 Pflegeeinrichtungen) beabsichtigt unbestätigten Angaben zufolge, in den nächsten Jahren ca. 1,5 Milliarden Euro auf dem bundesdeutschen Markt zu investieren.

Die Gehälter in der Pflegebranche sind sehr unterschiedlich. Der in Berlin diskutierte Mindestlohn in der Pflege wird von privaten Anbietern abgelehnt. „Für uns in der Diakonie ist das gar kein Thema, da wir Fachkräften viele hundert Euro mehr zahlen, als es der Mindestlohn für Pflegeberufe vorsieht“, so Schultz. Gesellschaftspolitisch müsse diskutiert werden, was man wolle. Gute Pflege koste nun einmal Geld. Und wenn Altersarmut von Pflegekräften vermieden werden solle, müssten auch von allen Anbietern gute Löhne gezahlt werden. Doch diese volkswirtschaftlichen Zusammenhänge würden auf der politischen Bühne mehr oder weniger komplett ausgeblendet. Man denke anscheinend nicht an morgen. Auch mögliche Folgekosten großer Pflegeeinrichtungen, für die kein Bedarf bestehe, würden nicht mitgedacht. Dafür müsse dann, wenn keine Gewinne mehr fließen, der Steuerzahler aufkommen. Der stationäre Pflegemarkt konsolidierte sich auch im Jahr 2019 in Deutschland weiter. Die 30 größten Pflegeheimbetreiber der vollstationären Pflegeplätze teilen sich einen Marktanteil von 21,3 Prozent.

Um Fehlentwicklungen entgegenzusteuern, fordert Christian Schultz von Politikern in der Region, stärker auf die Fachexpertise der Sozialexperten vor Ort zurückzugreifen. Sowohl die Diakonie Stiftung Salem als auch andere gemeinnützige Träger seien gerne bereit, an dieser Stelle beratend tätig zu werden.

Um den Unterschied von gemeinnützigen Anbietern und gewinnorientierten Wettbewerbern deutlich zu machen, plant die Diakonie Stiftung Salem eine Podiumsdiskussion am Mittwoch, den 4. März 2020 um 18.00 Uhr mit Politikerinnen und Politikern aus dem Bereich des Evangelischen Kirchenkreises Minden. Alle Interessierten sind zu der Veranstaltung im Mutterhaus der Diakonie Stiftung Salem, Kuhlenstraße 82 in Minden, herzlich eingeladen.

 

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